Wenn wir auf einem Spaziergang entscheiden, welche Sorte Eiscreme wir bestellen, welchen Kurs wir an der Universität belegen oder ob wir eine Zigarette rauchen – sind wir frei in unserer Entscheidung? Oder hätten wir uns anders entscheiden können? Bin ich Herr über meine eigenen Handlungen wie Aristoteles, Thomas von Aquin und Kant behaupteten oder ist es Gott, mein Gehirn oder eine andere mir unbekannte Macht? Oder, um es anders auszudrücken, hat Nietzsche recht, dass der freie Wille eine bloße Illusion ist? Und was ist Willens- und Handlungsfreiheit? Was ist der Unterschied und was ist das Prinzip der Freiheit?

„Beim Anblick eines Wasserfalles meinen wir in den zahllosen Biegungen, Schlängelungen, Brechungen der Wellen Freiheit des Willens und Belieben zu sehen; aber Alles ist nothwendig, jede Bewegung mathematisch auszurechnen. So ist es auch bei den menschlichen Handlungen; man müsste jede einzelne Handlung vorher ausrechnen können, wenn man allwissend wäre, ebenso jeden Fortschritt der Erkenntniss, jeden Irrthum, jede Bosheit. Der Handelnde selbst steckt freilich in der Illusion der Willkür;“

 (Nietzsche: MA I,2, 106)

Die metaphysische Debatte über den freien Willen und die moralische Verantwortung gründet in unserem Selbstbild als Mensch mit einem Gewissen und geht von einem intuitiven Verständnis von Freiheit aus, weshalb Philosophen, Physiker und Neuro-Wissenschaftler seit Jahrzehnten nicht zusammenkommen. Bislang zeichnen sich drei Positionen ab: Libertarismus, Determinismus und Kompatibilismus. Der Libertarist postuliert, dass ich allein Herr meiner Handlungen bin, während der Determinist erklärt, dass alle physikalischen Ereignisse von Naturgesetzen bestimmt sind, also kausal und damit zwingend erfolgen. Der Kompatibilist erklärt den freien Willen für kompatibel mit dem Determinismus.1 Zwischen diesen Positionen kann keine Einigung erzielt werden, da weitere Probleme und Widersprüche wie die Quantenphysik2 oder das Prinzip der kausalen Geschlossenheit3 der physischen Welt auftauchen. Da ich zum Kompatibilismus neige, könnte ich folgendermaßen argumentieren:

P1: Ich bin der Ursprung all meinen Handels, aber nicht der vergangenen Tatsachen und Naturgesetzen als solche.

P2: Ich kann meine Handlungen im Tun ändern, aber nicht Tatsachen oder Gesetze

C: Meine frei gewählten Handlungen koexistieren mit den Tatsachen und Gesetzen.

Diese anhaltende Debatte in der Philosophie unterscheidet die Willens- von der Handlungsfreiheit und grenzt beides gegenüber dem Prinzip der Freiheit an sich ab. Mit dem freien Willen (liberum arbitrium)4 ist die Freiheit gemeint, den eigenen Willen frei zu bestimmen und nicht von einem anderen Willen determiniert zu sein. Handlungsfreiheit jedoch bedeutet, dass ich frei bin zu tun, was ich will, aber eine gewisse Fremdbestimmung möglich sein kann, wie beispielsweise der Alkoholiker von seiner Abhängigkeit bestimmt wird und nicht primär von seinem eigenen Willen.

Was ist eine notwendige Bedingung für Freiheit? Auch anders handeln zu können oder wie der Amerikanische Philosoph Harry Frankfurt es ausdrückte „alternative Möglichkeiten”5 zu haben? Doch habe ich immer eine Wahl6 und wenn ja, in welchem Sinne?

Frankfurt negiert alternative Möglichkeiten als Kriterium für Freiheit in seiner Theorie des freien Willens. Damit ist die Alternativität kein Prinzip der Freiheit. Freier Wille heißt nicht, frei zu sein im Handeln, sondern frei zu sein im Wollen. Für Frankfurt ist die Struktur des Willens einer Person genau das, was die Person als solche ausmacht. In der Lage zu sein, sich rational zu verhalten und Herr über den eigenen Willen zu sein, ist konstitutiv um (überhaupt) eine Person zu sein. Es gibt zwei Ebenen des Wollens: die Volitionen erster Ordnung (first order volitions), wie Wünsche bezüglich bestimmter Dinge, die eine Handlung auslösen und Volitionen zweiter Ordnung (second order volitions), welche Wünsche über Wünsche sind (allgemein). Frankfurts’ Unterscheidung von den beiden Ebenen des Wollens beschreibt die menschliche Fähigkeit, auf das eigene Wollen reflektieren zu können. Die Volitionen zweiter Ordnung sind die Prüfinstanz für diejenigen der ersten Ordnung, in dem sie Stellung zu den Volitionen erster Ordnung beziehen. Das Wollen (II.) prüft das Wollen (I.) in hierarchischer Struktur nach Frankfurt. Es sind die Volitionen zweiter Ordnung, die maßgeblich für Frankfurts Definition des freien Willens sind. Eine Person verfügt über einen freien Willen, wenn es eine Übereinstimmung zwischen den Volitionen erster und den Volitionen zweiter Ordnung gibt. Oder, um es auf den Punkt zu bringen: Eine Person ist willensfrei, wenn er oder sie den Willen hat, den er oder sie haben will.

Also ist unser Wille frei? Sind wir frei, wenn wir zu nichts gezwungen werden und unser Wille unser eigener ist, wie Frankfurt ihn identifiziert oder ist alles determiniert und wir projizieren lediglich unser Selbstbild als freie Wesen in kausal festgelegte Ereignisse hinein? Letztlich muss jeder für sich selbst entscheiden, welcher Position er angehört und auch, ob man der Neurowissenschaft die Fähigkeit zuspricht, präzise Resultate liefern (man denke hier besonders an die Libet-Experimente) und interpretieren zu können.

Der Dichter Samuel Johnson brachte dieses Rätsel des freien Willens auf den simplen Punkt:

„Alle Theorie spricht gegen den freien Willen, alle Erfahrung dafür” (James Boswell: The Life of Samuel Johnson. Bd. 3, Boston: W. Andrews and I. Blake, 1807, S.13)


1 Vertreter des harten Determinismus verneinen die Kompatibilität von freiem Willen und Determinismus und behaupten auf diese Weise, dass wir keine Freiheit haben, doch Vertreter des soften Determinismus sind Kompatibilisten in dem Sinne, dass der Mensch als freies Wesen, das eine Wahl hat, anerkannt wird.

2 Eine gewisse Unsicherheit existiert auch in der physikalischen Welt, hier in der quantenmechanischen Unbestimmtheit.

3 Ob dieses Prinzip jedoch deterministisch ist oder nicht, ist aufgrund seines empirischen Wesens unmöglich zu beweisen.

4 Hannah Arendt bezeichnete Augustinus als den ersten Philosophen des Willens.

5 Harry Frankfurt: “Alternate Possibilities and Moral Responsibility”, in: The Journal of Philosophy, Vol. 66, 23. pp. 829-839, unter: https://www.jstor.org/stable/2023833; last access: 25.09.2023.

6 Die Begriffe “choice” und “free will” scheinen Paradigm Case Arguments zu sein, da sich die Verwendung des Wortes selbst auf zentrale Fälle bezieht.