„It is the best head joined to the best heart.” Adam Smith: TMS, VI, i, 15.

Der Name Adam Smith scheint wie ein Leuchtfeuer am Himmel der Wirtschaftswissenschaften und der Moralphilosophen, doch wer hätte ihn für einen begnadeten Rhetoriker gehalten? Wenig bekannt ist, dass Adam Smith ab 1751 Professor für Logik und Rhetorik an der Universität von Glasgow war, Vorlesungen über Rhetorik (Lectures on Rhetoric and Belles Lettres) hielt und 1754 mit David Hume und Allan Ramsay auch einen Debattierclub (The Select Society) gegründet hatte. Ebenso wenig beachtet ist heutzutage sein Erstlingswerk The Theory of Moral Sentiments (Theorie der ethischen Gefühle), welches bei Erscheinen im Jahre 1759 direkt ausverkauft war und wichtige Einsichten in Smith grundlegende Prinzipien von Moralphilosophie und Rhetorik gibt. Was kennen wir noch nicht von Adam Smith und warum sollten wir The Theory of Moral Sentiments lesen? Hierfür lassen sich drei Hauptgründe anführen:

Erstens hielt Adam Smith sein erstes großes Werk The Theory of Moral Sentiments selbst für bedeutsamer als das nachfolgende Werk The Wealth of Nations, wofür er heutzutage bekannt ist.1 Dies nimmt nicht wunder, machte sich Smith mit diesem Werk einen Namen in der Welt, wie die Rezensionen in Schottland, Frankreich und Deutschland zeigen. David Hume schrieb am 12. April 1759 an Smith: „I proceed to tell you the melancholy news, that your book has been very unfortunate; for the public seem disposed to applaud it extremely. It was looked for by the foolish people with some impatience; and the mob of literati are beginning already to be very loud in its praises. Three bishops called yesterday at Millar's shop in order to buy copies, and to ask questions about the author.” Doch es war nicht nur der kommerzielle Erfolg der Bücher, sondern besonders Smiths Vorgehensweise als Philosoph, in dem er Tatsachen auf Prinzipien zurückführt und den Ist-Zustand menschlicher Gesellschaft beschreibt. Er beschreibt was ist, nicht was sein soll. Ihn interessieren die menschlichen Grundtriebe und Grundsätze, normative Standards für menschliches Verhalten, die Frage, wie eine Identität konstruiert wird und wodurch soziale Einheit in einer Gesellschaft erreicht wird. Und zuletzt: Was prägt menschliches Verhalten?

Zweitens stellt Smith in The Theory of Moral Sentiments die grundlegenden Prinzipien für das menschliche Handeln und für den Prozess von Tausch und Handel (exchange / trade) vor, auf denen WN später aufbauen sollte. Insofern ist seine Theory of Moral Sentiments die Basis für ein tiefgehendes Verständnis von The Wealth of Nations. Ohne seine Philosophie der menschlichen Natur ist WN nicht zu verstehen. Dies zeigt sich daran, dass Adam Smith zeit seines Lebens an sechs neuen Auflagen für TMS arbeitete und parallel an WN schrieb. Die erste Auflage von WN wurde 1776 veröffentlich und die letzte Auflage von TMS erschien 1790. Manches überarbeitete Smith in den vielen Auflagen, aber seine Textstellen über Sympathie, Mitleid und die Grenzen des Eigennutzes hat er nicht grundlegend geändert. Für Smith gibt es keine Diskrepanz zwischen The Theory of Moral Sentiments und The Wealth of Nations, weil sie zwei verschiedene Welten beschreiben, die sich gegenseitig konstituieren. TMS beschreibt den persönlichen Zirkel des Menschen und sein soziales Umfeld, während WN den erweiterten und unpersönlichen Zirkel des Menschen beschreibt.2 Doch worum geht es in The Theory of Moral Sentiments? Smiths Theory of Moral Sentiments ist eine Phänomenologie und ein Modell menschlichen Verhaltens in der Gesellschaft. Auch über 200 Jahre später liest sich Smith Theorie als eine überraschend moderne Psychologie und Philosophie. Er stellt nicht die Vernunft ins Zentrum seiner Philosophie, sondern ein Gefühl: Die sympathy bestimmt menschliches Verhalten und Urteilen. Der Mensch als fühlendes, nicht als berechnendes Wesen. Für Smith wird der Mensch bestimmt durch Anforderungen der Selbstliebe (self-love) und durch den Wunsch nach Zustimmung Anderer zu seinem Handeln. Sich dieser Zustimmung würdig zu erweisen, ist Teil des Menschen als soziales Wesen nach Smith.3 Dies ist ein grundlegendes Axiom Smithscher Philosophie: Die Gesellschaft ist der Spiegel, wodurch der Mensch lernt und sein Verhalten formt.

Mensch als soziales Wesen → sympathy propriety property (WN)

Und schließlich drittens, durch die Lektüre von The Theory of Moral Sentiments ist es möglich, Adam Smith den Sprachtheoretiker, den Moralphilosophen und den Rhetoriker zu entdecken. Ab der dritten Ausgabe von TMS (1767) veranlasste Smith, dass dieser und den folgenden drei Ausgaben sein Artikel “Considerations concerning the First Formation of Languages” (1761) als Anhang beigefügt werden sollte. Inwiefern sprachliche Kommunikation und moralische Werturteile in The Theory of Moral Sentiments zusammenhängen, soll nun analysiert werden. Für Smith ist moralisches Urteilen situativ bedingt, ist ein Gefühl (sympathy als Mitgefühl oder Empathie) und orientiert sich „from the man within” an Normen. Sympathy kennzeichnet ein „fellow-feeling” mit jeglicher Art von Emotion und beschreibt die menschliche Fähigkeit, sich in den anderen Menschen hineinzuversetzen. Es ist ein natürlicher Instinkt des Menschen und Grundlage für das antizipatorische Adressatenkalkül in der Rhetorik. Zu wissen, was für den Anderen richtig oder angemessen in einer bestimmten Situation ist, ist eine natürliche und rhetorische Fähigkeit. An dieser Stelle hat die Rhetorik eine ethische Komponente nach Smith, was sich aus seinem Konzept der propriety (Angemessenheit) ablesen lässt.4 Für Smith ist Persuasion ein natürliches Bedürfnis („natural desire”5), um andere Menschen zu führen. Der Mensch möchte, dass man ihm glaubt, aber er ist sich auch dessen bewusst, dass er sich dieses Glaubens würdig erweisen muss. Dies bedeutet, dass die Würde in der Art der Persuasion selbst liegt. Doch welcher Art soll diese sein? Für Smith gibt es nur die angemessene Persuasion, die sich den Regeln der Angemessenheit beugt und zur sympathy wird. Propriety und sympathy sind bei Smith zwei sich gegenseitig bedingende Kriterien. Doch unterschiedet Adam Smith in The Theory of Moral Sentiments zwei verschiedene Arten von Angemessenheit: die rhetorische Angemessenheit und die moralische Angemessenheit. Für ihn ist die rhetorische Angemessenheit keine fixe Heuristik, sondern eher eine stilistische Klarheit und eine Anpassung der Rede an die situativen Umstände. Die moralische Angemessenheit wird durch den „unparteiischen Beobachter” (impartial spectator) gewährleistet, der jegliches Verhalten daran misst, ob es von einem gerechten Gefühl vorgegeben wurde (TMS, I, i, V, 4). Es ist eine Art von moralischer Kontrolle, die jedoch im Akteur selbst stattfindet, wenn er die Maximen seines Handelns aus der Sicht des neutralen Beobachters beurteilt (the man within/the great judge)6. Es ist die Außensicht auf das eigene Handeln, im Wissen um das von der Gesellschaft gebotene Tun.

Diejenigen, die Adam Smith nur als Pionier der Ökonomie kennzeichnen, dessen beiden Werke The Theory of Moral Sentiments und The Wealth of Nations in scheinbarem Widerspruch zueinander stehen (das Adam Smith Problem), laufen Gefahr die fundamentalsten Ausführungen seiner Werke zu übersehen. Er ist vielmehr einer der Philosophen, der unsere Welt nachhaltig verändert hat. Die Basis seiner Moralphilosophie liegt in The Theory of Moral Sentiments begründet und muss folglich der Lektüre von The Wealth of Nations vorgehen. Es würde Smiths außergewöhnlichen Leistungen nicht gerecht, wenn die Gesellschaft es nicht verstünde, die fundamentalen Prinzipien seiner wichtigsten Werke zueinander in Beziehung zu bringen und zu erkennen, dass sie gemeinsam betrachtet werden müssen, dort, wo das moralische Gefühl die Basis für die darauffolgenden wirtschaftlichen Überlegungen bildet.


1 Sir Samuel Romilly: Memoirs of the Life of Sir Samuel Romilly. I, Brief 71 vom 20. 8. 1790.

2 Vergleiche hierzu auch David Hume.

3 We „humble the arrogance of (our) self-love, and bring it down to something which other men can go along with.” TMS II, ii, 1.

4 Siehe hierzu Stephen J. McKenna: Adam Smith. The Rhetoric of Propriety. 2006. S. 119.

5 Adam Smith: The Theory of Moral Sentiments. VII, iv, 24-25.

6 Ibid, VI, ii, I, 22.